Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat das Agieren der Bundesregierung im Ukraine-Krieg verteidigt. Auf einem Leser-Forum der Chemnitzer «Freien Presse» musste sie sich am Freitag auch kritischen Fragen aus dem Publikum stellen, etwa warum der Bund nicht mehr für eine diplomatische Lösung des Konfliktes unternehme. Baerbock widersprach der Auffassung, dass man dafür zu wenig getan habe. Bis kurz vor Kriegsbeginn habe man das versucht, nach dem Angriff dann aber der Ukraine militärisch beistehen müssen. «Hätten wir diese militärische Unterstützung nicht geleistet, dann wäre jetzt Kiew eingenommen (…) Jedes einzelne Menschenleben, das wir retten konnten, war diese Waffenlieferungen wert.»
Auf dem Forum mit rund 300 Lesern der «Freien Presse» hatte zunächst der frühere ukrainische Box-Weltmeister Wladimir Klitschko in bewegenden Worten seine Gefühle geschildert. «Jeden Tag, jede Nacht sterben Ukrainer, nicht nur Militärs, sondern auch Zivilisten, Frauen, Kinder. Man gewöhnt sich an die Bilder (…) Man gewöhnt sich daran, den Tod zu sehen und lebt weiter», sagte der 47-Jährige. Der 24. Februar 2022 habe das Leben der Menschen in der Ukraine komplett verändert. Gerade jetzt im Sommer würden Pläne gemacht für die Ferien, für das Leben. Ukrainer könnten das nicht: «Sie denken von Tag zu Tag.»
Am 24. Februar 2022 waren russische Truppen in das Nachbarland einmarschiert. Seitdem setzt sich die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg zur Wehr. Sie wird dabei von westlichen Partnern mit Waffenlieferungen unterstützt.
Baerbock zufolge bleibt die Ukraine auch künftig auf militärische Unterstützung angewiesen. Man könne sie erst einstellen, wenn Russland aufhöre, die Ukraine zu bombardieren und Menschen zu verschleppen und zu vergewaltigen. Das passiere tagtäglich in den Gebieten, die noch nicht befreit werden konnten.
Klitschko wollte keine Prognose wagen, wann der Krieg aufhört. Es könne ganz schnell zu Ende gehen, aber auch noch lange dauern. Keiner könne das wissen. «Kritische Zeiten prägen eine starke Nation und den Charakter (…). Wir wollen in Frieden leben, in einer Demokratie, nicht in einer Diktatur», sagte der Sportler, dessen Bruder Vitali Bürgermeister von Kiew ist.
Der Krieg in der Ukraine spielte am Vormittag auch bei einem Treffen Baerbocks mit ihrem tschechischen Amtskollegen Jan Lipavský eine Rolle. Beide Länder sicherten der Ukraine weitere Hilfe in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu. Lipavský sprach von einer «nie da gewesenen imperialen russischen Aggression». Sie sei die größte Gefahr für die Sicherheit in Europa. «Tschechien bleibt an der Seite der Ukraine, bis der letzte russische Panzer dort verschwunden ist.»
Bereits auf dem Nato-Gipfel in Vilnius habe man vereinbart, die militärische Unterstützung für das Recht auf Selbstverteidigung zu erhöhen, sagte Baerbock. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe dort ein Paket von weiteren 700 Millionen Euro angekündigt. Nun prüfe man gemeinsam mit Partnern, wie man die Ukraine auch mit Blick auf eine weitere große Herausforderung unterstützen könne: Denn die russische Armee habe in der Ukraine ein Gebiet von der Größe Westdeutschlandes vermint und mache es unmöglich, die Menschen dort zu befreien.
«In dem Moment, wo man sich zwischen einem Aggressor und einem Opfer entscheiden muss, steht nicht nur Europa, sondern steht die Mehrheit dieser Welt auf der Seite der Opfer», sagte Baerbock. (dpa)